Pflichtverteidiger und notwendige Verteidigung

Sie haben einen Brief vom Gericht erhalten, in welchem das Gericht mitteilt, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt und Sie innerhalb einer bestimmten Frist einen Verteidiger benennen sollen, Ihnen anderenfalls das Gericht einen Pflichtverteidiger bestellt.

Wann Sie das Recht auf einen Pflichtverteidiger haben und was Sie bei der Auswahl Ihres Pflichtverteidigers beachten müssen, erklärt Rechtsanwalt Steffen Dietrich aus Berlin - Kreuzberg. Rechtsanwalt Steffen Dietrich ist Fachanwalt für Strafrecht und bereits seit vielen Jahren erfolgreich ausschließlich auf dem Gebiet des Strafrechts in Berlin und bundesweit tätig.

1. Was ist eine notwendige Verteidigung?
2. Was ist ein Wahlverteidiger im Verhältnis zu einem Pflichtverteidiger?
3. Wann liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor?
3.1 Pflichtverteidiger bei Verhandlung vor dem Landgericht
3.2 Pflichtverteidiger bei Verhandlung vor dem Oberlandesgericht
3.3 Pflichtverteidiger nach weiteren Vorschriften
3.4 Pflichtverteidiger bei Verhandlung vor dem Schöffengericht
3.5 Pflichtverteidiger bei Anordnung eines Berufsverbots
3.6 Pflichtverteidiger bei Vorführung zur Entscheidung über Haft
3.7 Pflichtverteidiger bei Haftaufenthalt
3.8 Pflichtverteidiger nach der Generalklausel, § 140 Abs. 2 StPO
3.9 Pflichtverteidiger nach weiteren Vorschriften
4. Sollte man sich einen eigenen Pflichtverteidiger suchen?

1. Was ist eine notwendige Verteidigung?

Grundsätzlich steht es jeder Person frei, im Strafverfahren die Hilfe eines Rechtsanwaltes als Verteidiger in Anspruch zu nehmen oder auf die Hilfe eines Rechtsanwaltes zu verzichten. Wenn aber der Sachverhalt z. B. besonders schwierig ist, eine zu erwartende Strafe besonders hoch ausfallen könnte oder der Beschuldigte nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, schreibt § 140 StPO vor, dass die Mitwirkung eines Verteidigers zwingend erforderlich ist. In diesem Fall spricht man von einer "notwendigen Verteidigung". Durch die notwendige Verteidigung soll insbesondere gewährleistet werden, dass ein Verteidiger die Einhaltung der Rechte des Beschuldigten überwacht. Sollte der Beschuldigte noch keinen Verteidiger haben, wird das Gericht ihm einen Verteidiger als Pflichtverteidiger bestellen. Die Bestellung des Pflichtverteidigers erfolgt auch gegen den Willen eines Beschuldigten

2. Was ist ein Wahlverteidiger im Verhältnis zu einem Pflichtverteidiger?

Ein Rechtsanwalt tritt als Wahlverteidiger auf, wenn er z. B. durch Unterzeichnung einer Vollmacht von seinem Mandanten zivilrechtlich beauftragt worden ist. Bestellt das Gericht einer Person einen Anwalt, handelt der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger. Aber auch ein Wahlverteidiger kann zum Pflichtverteidiger werden, und zwar dann, wenn er im Falle einer notwendigen Verteidigung einen Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger stellt und das Gericht diesem Antrag stattgibt.

3. Wann liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor?

Nach § 140 Abs. 1 StPO ist die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich, wenn

  1. zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Land
  2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
  3. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
  4. der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Abs. 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über
  5. der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in eine
  6. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringu
  7. zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
  8. der bisherige Verteidiger durch seine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlos
  9. dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
  10. bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der V
  11. ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

Nach § 140 Abs. 2 StPO ist darüber hinaus dem Beschuldigten ein Verteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann - namentlich, weil dem Verletzten nach den §§ 397a und 406g Abs. 3 und 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Dem Antrag eines hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten ist zu entsprechen.

3.1 Pflichtverteidiger bei Verhandlung vor dem Landgericht

Eine notwendige Verteidigung mit der Folge der zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers oder Beauftragung eines Wahlverteidigers liegt vor, wenn in erster Instanz vor dem Landgericht verhandelt wird. Die Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus § 74 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Hiernach ist das Landgericht ab einer Straferwartung von mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe zuständig. Wenn also die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen davon ausgeht, dass eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren in Betracht kommt, wird die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Landgericht erheben.

Neben der Straferwartung ist das Landgericht immer zuständig für Taten, bei denen eine Person ums Leben gekommen ist. Hierzu zählen insbesondere

3.2 Pflichtverteidiger bei Verhandlung vor dem Oberlandesgericht

Ebenfalls liegt eine notwendige Verteidigung mit der Folge der zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers oder Beauftragung eines Wahlverteidigers vor, wenn in erster Instanz vor dem Oberlandesgericht das Verfahren geführt wird. Das Oberlandesgericht, in Berlin das Kammergericht (KG), ist nur sehr eingeschränkt in 1. Instanz zuständig. In der Regel handelt es sich um Delikte wie Hochverrat gem. §§ 81, 82 StGB oder Straftaten nach dem Völkerstrafrecht. Häufig geht die Staatsanwaltschaft bei einer Anklage vor dem Oberlandesgericht von einem mutmaßliches terroristischen Hintergrund aus.

3.3 Pflichtverteidiger bei Verhandlung vor dem Schöffengericht

Eine notwendige Verteidigung mit der Folge der zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers liegt auch vor, wenn in erster Instanz vor dem Schöffengericht verhandelt wird. Ein Schöffengericht ist in der Regel mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen besetzt. Schöffen sind keine Berufsrichter, sondern lediglich ehrenamtliche „Laienrichter“. Die Zuständigkeit des Schöffengerichts ergibt sich aus § 28 GVG. Hiernach entscheidet das Schöffengericht in allen Fällen der Zuständigkeit des Amtsgerichts, soweit nicht der Strafrichter entscheidet. Das Schöffengericht ist für die Fälle der mittleren Kriminalität und immer dann zuständig, wenn die Staatsanwaltschaft von einer Straferwartung zwischen 2 und 4 Jahren Freiheitsstrafe ausgeht oder wenn ein Verbrechen angeklagt wird.

3.4 Pflichtverteidiger bei Verbrechen

Ein Pflichtverteidiger ist auch im Falle eines Verbrechensvorwurfs zu bestellen. Ein Verbrechen ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gesetz eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe vorsieht. Eine Geldstrafe oder eine kurze Freiheitsstrafe von z.B sechs Monaten ist in der Regel nicht möglich.

Zu den klassischen Verbrechen zählen

3.5 Pflichtverteidiger bei Anordnung eines Berufsverbots

Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Strafgericht als sogenannte Maßregel der Besserung und Sicherung für eine bestimmte Zeit ein Berufsverbot gem. § 70 StGB anordnen. Da es sich bei einem Berufsverbot um eine sehr beeinträchtigende Sanktion handelt, ist ebenfalls die Mitwirkung eines Verteidigers im Rahmen der notwendigen Verteidigung erforderlich. Ein Berufsverbot kann angeordnet werden, wenn jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er unter Missbrauch seines Berufes oder Gewerbes begangen hat, verurteilt wird.

3.6 Pflichtverteidiger bei Vorführung zur Entscheidung über Haft

Die Untersuchungshaft stellt ebenfalls einen sehr starken Eingriff dar. Deshalb muss bei der Vollstreckung von Untersuchungshaft ein Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn der Beschuldigte noch keinen Wahlverteidiger hat. Gerade bei einer Verhaftung oder Festnahme gilt es, dass Freunde oder Verwandte keine Zeit verlieren sollten. Bei einer Verhaftung oder Festnahme wird der Beschuldigte in der Regel spätestens am nächsten Tag einem Haftrichter vorgeführt. Bereits in diesem Termin kann ein in Haftfragen erfahrender Rechtsanwalt den Erlass oder die Vollstreckung eines Haftbefehls häufig verhindern. Sollte der Beschuldigte keinen Pflichtverteidiger benennen, wird der Haftrichter dem Beschuldigten einen ihm genehmen "Rechtsanwalt" beiordnen. Gerade unerfahrene, erstmals inhaftierte Beschuldigte nehmen gerne zunächst den Vorschlag des Gerichts an, einen Verteidiger vom Gericht ausgewählt zu bekommen. Man stellt dann regelmäßig zu spät fest, dass der vom Gericht ausgewählte Pflichtverteidiger nicht die Interessen seines Mandanten ernsthaft vertreten hat.

Weitere Informationen im Falle einer Verhaftung oder Festnahme finden Sie unter:

www.rechtsanwalt-haftbefehl.de

3.7 Pflichtverteidiger bei Haftaufenthalt

Befindet sich der Beschuldigte auf Grund einer richterlichen Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in Haft, z.B. bei Strafhaft, Auslieferungshaft oder Abschiebungshaft, liegt ebenfalls ein Fall der notwendigen Verteidigung vor und dem Beschuldigten wird ein Pflichtverteidiger bestellt.

Weitere Informationen zur Auslieferungshaft im Falle eines europäischen Haftbefehls (EU-Haftbefehl) finden Sie unter:

www.europäischer-haftbefehl.de

3.7 Pflichtverteidiger nach der Generalklausel, § 140 Abs. 2 StPO

Auch im Falle des § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor. Hiernach wird ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Bei der Generalklausel ist zu prüfen, ob ein Beschuldigter in der Lage ist, sich gegen die erhobenen Vorwürfe effektiv selbst zu verteidigen. Die Gerichte gehen in der Regel davon aus, dass ab einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe die Mitwirkung eines Verteidigers und daher die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich ist.

3.8 Pflichtverteidiger nach weiteren Vorschriften

Neben § 140 StGB gibt es weitere Vorschriften, die die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorsehen. Hierzu zählt insbesondere § 68 JGG, der für das Jugendstrafrecht die notwendige Verteidigung regelt. Ein Pflichtverteidiger wird im Jugendstrafrecht unter erleichterten Voraussetzungen bestellt.

Bei Erlass eines Strafbefehls ist gemäß § 408b StPO dann ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn im Strafbefehl eine Freiheitsstrafe verhängt wird, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden soll, und der Beschuldigte in diesem Verfahren noch keinen Rechtsanwalt beauftragt hat.

4. Sollte man sich einen eigenen Pflichtverteidiger suchen?

Sollten Sie eine schriftliche Aufforderung in den Händen halten, in denen Sie vom Gericht aufgefordert werden, innerhalb einer bestimmten Frist einen Pflichtverteidiger zu benennen, anderenfalls Ihnen durch das Gericht ein Pflichtverteidiger beigeordnet wird, sollten Sie diese Aufforderung ernst nehmen und sich selbst innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist an einen Rechtsanwalt wenden. Nur so können Sie gewährleisten, dass Ihr Pflichtverteidiger auch wirklich nur Ihre Interessen wahrnimmt und nicht das Wohlwollen des Gerichts im Auge hat.

Sollten Sie weitere Fragen haben, stehe ich Ihnen gern unter unseren Kontaktdaten zur Verfügung